Nach 100 vergeblichen Bewerbungen der perfekte Ausbildungsplatz
"Ich habe den besten Ausbildungsplatz, den ich mir nur wünschen konnte. Interessant, vielseitig, einfach ganz toll", freut sich Anna (Name geändert) über ihre Ausbildungsstelle bei der Gemeindeverwaltung einer großen Gemeinde im Landkreis Fulda. Die blonde 24-jährige wirkt gelassen und souverän. Sie strahlt so viel Selbstvertrauen und Optimismus aus, dass man ihr kaum glauben möchte, wenn sie von ihrer schwierigen Biographie und von den rund 100 vergeblichen Bewerbungen erzählt, die hinter ihr liegen.
Als Achtjährige kam Anna, die ihren richtigen Namen nur ungern öffentlich machen möchte, mit ihrer Familie aus Kirgisistan ("Dort habe ich die schönste Zeit meines Lebens verlebt") in ein westfälisches Dorf. Das intelligente Mädchen hatte zwar einige Anpassungsschwierigkeiten, lernte aber schnell und fand deutsche Freundinnen. Gerade ein Jahr lang war sie auf dem Gymnasium, als die Mutter erkrankte und die Familie wegen der besseren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten nach Bad Hersfeld zog. Ein Jahr später starb die Mutter, und die gerade 14-jährige wurde bei der Haushaltsführung und der Betreuung der vier Geschwister in die Pflicht genommen - eine neben der Schule kaum zu bewältigende Aufgabe.
Dazu kam ein gespanntes Verhältnis zum streng religiösen Vater, der - so erzählt sie - bis heute weder Computer noch Fernseher im Haus duldet und das Wohlverhalten seiner Kinder häufig mit Schlägen durchsetzte. Aber gerade das, sagt Anna heute, habe sie nur umso entschlossener gemacht, ihr Leben in der neuen Heimat nach ihren eigenen Vorstellungen aufzubauen.
Anna besucht die Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung, als sie einen jungen Mann kennenlernt und, wie sie rückblickend sagt, aus dem Elternhaus in eine frühe Ehe flüchtet. Sie zieht mit ihrem Mann nach Fulda und geht weiter zur Schule. Die Ehe kriselt schnell, und Anna ist erst in der 11. FOS-Klasse, als sie schwanger wird und die Schule ein Jahr vor dem Abschluss verlässt.
"Aber dann hatte ich ein Kind und Verantwortung, und plötzlich hat es klick im Kopf gemacht", beschreibt sie heute den Wendepunkt in ihrem Leben nach der Geburt der Tochter. Anna holt die Klasse 12 nach, macht Fachabitur und beginnt ein Studium der Informatik. Das muss sie abbrechen, als sie sich von ihrem Mann trennt und gezwungen ist, den Lebensunterhalt für sich und das Kind zu verdienen. Neben ihren Jobs schreibt sie Bewerbungen, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen und so den Einstieg in ein sicheres Arbeitsverhältnis zu schaffen. "80 bis 100 Bewerbungen waren es sicher", resümiert sie. "Fast genauso oft wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Aber immer, wenn die Rede auf meine kleine Tochter kam, wusste ich - das war's."
Über das Amt für Arbeit und Soziales des Landkreises Fulda kam Anna schließlich in Kontakt mit "Paten & Partner" und ihrem Ausbildungspaten Hartmut Zuschke. Dem gelang es, ihren künftigen Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass ein Kind eher eine zusätzliche Motivation als ein Hindernis für gute Leistungen während der Ausbildung sein kann. Kurze Zeit später konnte Anna ihren Ausbildungsvertrag unterschreiben - und noch dazu in ihrem Wunschberuf. "Alles ist perfekt", freut sie sich, "sogar der Kindergarten ist direkt neben meinem Arbeitsplatz."